Muskeltonus und Muskelkraft…mit Leib und Seele
Muskeltonus
oder warum singt die Dickste immer am schönsten?
Vor etlichen Jahren nahm ich an einer Fachtagung teil, die sich mit der Frage befasste, warum so viele OpernsängerInnen übergewichtig sind. Anwesend und z.T. auch vortragend waren eine ganze Reihe von gesangspädagogischen und phoniatrischen Fachleuten sowie eine Ernährungsberaterin. Trotz soviel Fachwissen tat man sich schwer, die Frage zu aller Zufriedenheit zu beantworten. Wenn man allerdings Erkenntnisse der Sportmedizin zugrunde legt, kann vielleicht doch eine Antwort gefunden werden:
Sportmediziner können messen, wie viele Kalorien ein Mensch z.B. beim Schlafen oder beim Joggen verbraucht. Opernsänger haben messbar während ihres Tuns den gleichen Kalorienbedarf wie Bergarbeiter. Ähnliches lässt sich sicherlich auch über Musicalsänger oder Rockstars sagen. Da die eigentliche Stimmmuskulatur aus sehr kleinen Muskeln besteht, müssen es andere Muskeln sein, die diese vielen Kalorien verbrauchen. Und diese Muskeln muss die SängerIn erst einmal besitzen, um sie dann auf der Bühne mobilisieren zu können.
Man stelle sich vor, man würde 2-3 Wochen lang permanent eine 10 Kilo schwere Bleiweste tragen – anstelle eines dicken Speckgürtels. Wie würde das wohl die eigene Körpermuskulatur verändern? Japanische Sumoringer erscheinen in europäischen Augen grotesk übergewichtig und eher unbeholfen als stark. Nichtsdestotrotz kann einer von diesen Sumos einen anderen an der Hose packen und etliche Meter weit tragen. Und dieser andere wiegt im Schnitt 300 Pfund.
Oft wird vergessen, dass sich unter einer dickeren Fettschicht in den meisten Fällen eine dicke Muskelschicht befindet. Und Singen der lauteren Art benötigt in zweierlei Hinsicht eine gut ausgebildete Muskulatur.
Zuerst wollen wir uns nun mit dem Muskeltonus beschäftigen, im nächsten Kapitel geht es dann an die Muskelkraft. (…)
Tonspannung und Muskelkraft
oder wo kommt die Kraft beim Singen her?
Zusätzlich zu einer wachen Grundspannung benötigen einige Arien oder Songs noch etwas mehr muskuläre Unterstützung. Wir erinnern uns an die „Formel der Sportmediziner“: Kalorienverbrauch des Opernsängers = Kalorienverbrauch des Bergarbeiters. Ein solcher Kalorienverbrauch entsteht nicht allein durch einen wachen Bereitstellungstonus.
Um einen ersten Eindruck zu bekommen, wie es sich anfühlt,die Stimme in der Körpermuskulatur zu verankern, schlage ich folgende Übung vor:
Der tiefe Kniestand
Du stehst hüftbreit. Singe in der tiefen Bruststimmlage auf O eine kleine Phrase. Wiederhole diese Phrase 2-3mal. Stelle dich nun so hin, wie die Sumoringer stehen, d.h. in einen tiefen Kniestand (Oberschenkelmuskulatur ist deutlich kontrahiert.). Wiederhole deine Anfangsphrase 2-3mal. Klingt deine Stimme im Sumostand dichter und lauter, ohne dass sich die Stimme mehr anstrengen muss? Wenn ja, dann ist es dir geglückt, deine Stimme in der Körpermuskulatur zu verankern.
Ein Wort zu den Gefahren des kraftbasierten Singens:
Unsere Stimmmuskeln sind sehr klein und fein, man kann ihnen leicht Schaden zufügen. Im Regelfall erhöhen Menschen, die ihr Stimmvolumen vergrößern wollen, zunächst ihren subglottischen Ausatemdruck, d.h. sie atmen verstärkt aus. Für die Stimmlippen, die als Unterdruckventil fungieren, bedeutet das, dass sie in ihremSchwingverhalten massiv gestört werden. Um trotz hohem Ausatemdruck zum Stimmlippenschluss zu kommen, muss dieser Druck durch erhöhte Anstrengung der lateralen Stimmlippenschließer ausgeglichen werden. Auf die Dauer führt das zu den sogenannten Schrei- oder Sängerknötchen.
Die Vorschläge aus der Atemarbeit heraus, Tonspannung aufzubauen, sind eine gute Möglichkeit für Autodidakten, der Stimme Energie zuzuführen. Sie sind leicht auszuführen und relativ gefahrlos für die Stimme. Allen, die ihr Stimmvolumen darüber hinaus vermehren wollen, rate ich dringend, das in Zusammenarbeit mit einem fähigen Gesangspädagogen zu tun. Man kann dabei selbst als Profi viel falsch machen, man schaue nur auf die vielen Stars der Popmusik, die mittlerweile öffentlich über ihre Stimmprobleme und die daraus resultierenden Stimmlippenoperationen gesprochen haben(…)